Bitcoin
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Schuld und Schulden
Das digitale Geld Bitcoin ist ein Spekulationsobjekt mit enormen CO₂-Emissionen. Es gehört geächtet. Ein Kommentar von Stefan Schmitt
Forscher schätzen, dass der Energiebedarf des Bitcoin derzeit bereits den Stromverbrauch Belgiens übertrifft. Existenzielle ökologische Bedrohungen sind nicht unbesiegbar. So benötigte die Menschheit nur wenige Jahre von der Erkenntnis bis zum Entschluss, um zu verabreden: Wir ächten und verbieten, wovon Gefahr für unsere Zukunft ausgeht. Die Rede ist vom Ozonloch. In den Achtzigern hatten Forscher gezeigt, dass bestimmte Chemikalien (die Fluorchlorkohlenwasserstoffe, kurz: FCKW) die Ozonschicht schädigen, welche wiederum die Menschen vor gefährlicher UV-Strahlung im Sonnenlicht schützt. Binnen weniger Jahre einigte sich die Weltgemeinschaft auf ein FCKW-Verbot. Nach dem Ort, an dem es beschlossen wurde, heißt es Montreal-Protokoll. Die Ozonschicht konnte heilen, einer der großen Erfolge der Umweltdiplomatie. Jetzt braucht die Menschheit ein neues Montreal-Protokoll gegen eine neue Gefahr: Bitcoin. Das Digitalgeld sorgt gerade für Schlagzeilen, weil es zeitweilig die Hälfte seines Wertes eingebüßt hat – gegenüber dem Allzeithoch im April. Wer vor zehn Jahren für einen Euro Bitcoin gekauft hätte, der könnte sie heute für Zehntausende Euro verkaufen. Und morgen? Ein einziger Tweet von Tesla-Chef Elon Musk könnte den Kurs wieder hochjazzen. Rasant spekulativ ist diese Schattenwährung, die kein Staat und keine Zentralbank ausgibt. Trotzdem interessieren sich längst auch Unternehmen außerhalb der Tech-Szene und institutionelle Anleger für sie. Deshalb dürfte die Nachfrage trotz aller Kapriolen weiter steigen. Und das ist extrem gefährlich.
Die Krux steckt im Design des Digitalgeldes: Um eine neue Einheit davon zu “schürfen”, müssen die Erzeuger (die sich selbst im Bergbau-Jargon “Miner” nennen) komplizierte kryptografische Berechnungen ausführen. Mit jedem Bitcoin steigen dafür die Anforderungen und damit der Elektrizitätsbedarf. Das ist längst ein Phänomen planetaren Maßstabs, weil das weltweite Kryptonetzwerk einen extrem hohen Strombedarf hat. Gegenwärtig soll er den Verbrauch Belgiens überschreiten, bald den der Niederlande, wie Forscher schätzen. Zwar kommen unterschiedliche Wissenschaftler auf verschiedene Werte, aber zwei Dinge sind unstrittig: Erstens, Bitcoin frisst so viel Strom wie ein kleines Industrieland, und zweitens, es wird immer mehr. Verschärft wird dies durch die Normalisierung, die wir gerade erleben: Der Bezahldienst PayPal bindet (bislang nur in den USA) Kryptowährungen ein, der Kreditkartenkonzern Visa experimentiert genauso damit wie das Unternehmen WeWork und das Auktionshaus Sotheby’s. Und auch eBay erwägt, künftig Kryptozahlungen anzunehmen. Dem muss dringend Einhalt geboten werden, damit die Anreize für die Miner und der Stromverbrauch ihrer Computer nicht ins Astronomische steigen. In China, wo aktuell ein Großteil der neuen Bitcoin errechnet werden, gefährde das längst die Klimaziele, warnen Forscher der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Jüngst hat die Regierung die Gangart gegenüber Krypto verschärft. Aber kann ein einziges Land – selbst eines mit der politischen Stärke Chinas – die Gefahr bannen? Die Miner können weiterziehen. Und Zeit schinden. So haben Teile der Branche im April erklärt, auf erneuerbare Energieträger setzen zu wollen. Sollte das mehr sein als ein Ablenkungsmanöver, dann legt es den Schmerzpunkt offen: Es gibt viel zu wenig Grünstrom. Wind- und Solarkraft zeigen zwar beeindruckende Wachstumsraten, aber sie erzeugen immer noch viel zu wenig saubere Elektrizität, um die dreckige aus Kohle, Öl und Gas zu ersetzen, an der die Welt auch ohne Bitcoin hängt. Klimaschutz ist kompliziert, weil jeder Mensch irgendwie an der Freisetzung von Treibhausgasen beteiligt ist und viele davon profitieren. Das elitäre Spekulationsobjekt Bitcoin ist da eine Ausnahme, noch. Aber will man diese unnötigen zusätzlichen Emissionen kappen, ist Eile geboten. Nicht nur wegen des Tempos der Klimakrise. Auch wegen des Schwungs, mit dem die Digitalwährung sich verbreitet. Noch ist sie ähnlich klar abgrenzbar, wie es einst die FCKW waren. Noch können sich die Staaten der Welt auf eine globale Ächtung des Handels mit dem Klimakiller Bitcoin einigen.
Leserbrief 1
Den Bitcoin zu ächten finde ich einen interessanten Vorschlag. Denn auch mir geht die Vorstellung, dass da jemand Kohle verbrennt, um Bitcoins zu schürfen, und das dabei entstehende CO2 in „unsere“Atmosphäre pustet und damit „unser“ Klima anheizt gehörig gegen den Strich. Gewinne alleine abschöpfen - Schulden verallgemeinheitlichen! Allerdings bezweifle ich, dass dieser Tatbestand irgendwo auf der Erde erfüllt ist.
Das Schürfen von Bitcoins verbraucht sehr viel Strom und Respekt vor Ihren hehren Zielen, das Klima durch Ächtung von Bitcoins schützen zu wollen. Da es beim Klima aber fünf vor zwölf ist, schlage ich vor, noch ein paar Energiefresser mehr zu ächten. Fangen wir mal an mit nichtlinearem Fernsehen, also Streaming, Netflix, Youtube usw. Nicht nur, dass diese neue Entertainment-Mode verantwortlich ist für bewegungsmangel-indizierte Depressionen und Verfettung, müssen dafür auch noch unzählige Serverfarmen mit Strom versorgt werden, genau derselbe Strom, der auch zum Bitcoinminen verschwendet wird. Auch E-Autos verschlingen Strom in ungeahntem Ausmaß um überzogene, individuelle Mobilitätsvorstellungen zu befriedigen. Nicht zuletzt sei hier erwähnt, das kürzlich zu lesen war, dass der Stromverbrauch des Bankenwesens heutzutage den des Bitcoins übertrifft. Sofort ächten!
Wahrscheinlich entgeht Ihnen die Ironie nicht. Aber vielleicht können wir uns darauf einigen, Bitcoinminen mit Hilfe von Kohlekraftwerken zu ächten. Allerdings würde ich dann auch gern Streaming durch Kohle ächten und auch das Laden von E-Auto-Akkus durch Kohlestrom. Warum ächten wir nicht einfach Kohlestrom bzw. das Verfeuern von fossilen Energieträgern oder noch direkter: Ächtung der Förderung von fossilen Brennstoffen, da wir wissen, dass jedes Gramm davon früher oder später in Form von CO2 in unsere Atmosphäre gelangt. Damit wäre das Problem “anthropozäner Klimawandel” gelöst.
Jetzt schlage ich Ihnen ein Gedankenexperiment vor. Sie und ich beherrschen jeweils einen Planeten. Sie ächten Bitcoinmining und ich ächte Kohlemining. Der Unterschied ist, dass sie spezielle Verbraucher ächten. Im Gegensatz dazu drehe ich speziellen Erzeugern den Saft ab. Was passiert jetzt? Auf Ihrem Planeten geht der Strompreis in die Knie, da die Nachfrage sinkt. Irgendwann finden sich vielleicht neue Technologien, die bei niedrigem Strompreis erstmalig profitabel werden. Auf dem Weg dahin mussten womöglich einige Erzeuger regenerativer Energien ihren Betrieb mangels Rentabilität einstellen. Bis dahin ist kein Gramm CO2 eingespart worden. Auf meinem Planeten hingegen geht der Strompreis in die Höhe. Indirekt proportional dazu sinkt der CO2-Eintrag in die Atmosphäre. Autofreaks, Streamer und Cryptominer müssen angesichts der neuen Parameter kreativ werden und energieeffzientere Verfahren entwickeln. Fun-Fact am Rande, die Bitcoin-Miner müssen gar nichts tun, außer ein paar Maschinen stillzulegen. Schließlich ist es dem Bitcoin-Netzwerk egal, wieviel Phantastillionen Berechnungen angestellt werden. Es geht nämlich nur darum, das Netzwerk mit einem angemessenen Betrag gegen Betrügereien abzusichern. Das findet dann auf dem gleichen Niveau, eben mit weniger Rechenpower, aber zu einem höheren Preis pro Rechenpower (Rechenpower kürzt sich weg), statt.
Jetzt noch zu den Visionen. Über die Vorteile des Bitcoin-Netzwerk in der Finanzwelt möchte ich jetzt nichts schreiben. Davon lässt sich genug an anderer Stelle lesen. Oder fragen Sie einfach jemanden, der das Potential der neuen Technologie rechtzeitig erkannt und etwas investiert hat. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die phantastische Vision der photovoltaischen oder solarthermischen Energiegewinnung in der Wüste. Dort ist Sonne schließlich in Dimensionen vorhanden, so dass uns Menschen die Erschließung ein Überleben auf hohem energetischen Niveau sichert. Dieses Projekt hieß damals Desertec und ist dann versandet. Zum einen gab es keine Infrastruktur, die Energie dahin zu bringen, wo sie gebraucht wird, zum anderen war der Druck so etwas zu wagen nicht groß genug. Das Risiko in Sahararegionen zu investieren wollte dann doch niemand eingehen. Durch das Bitcoinmining ergeben sich ganz andere Möglichkeiten. Wie wäre es, einfach jetzt, wo die Dächer der EU mit Photovoltaik bestückt sind, wo die Förderungen auslaufen, die Solarmodulfabriken weiterlaufen zu lassen und Parzellen in der Wüste damit zu bestücken. Es gibt zwar noch immer keine Leitungen zu den Verbrauchszentren, aber man kann Bitcoinminer vor Ort mit Solarenergie versorgen. Den dabei gewonnenen Value speichert man einfach in der Blockchain - per Telefon. In dieser Phase eins verzichtet man einfach auf die teure Energiespeicherung und Infrastruktur. In Phase 2, wenn sich Bitcoinminen nicht mehr lohnt, schließt man die Parzellen ans globale Stromnetz an. Und damit hätte Bitcoinminen die Energiewende entscheidend mit angetrieben. Über tauendem Permafrostboden könnte man Methan sammeln und in Bitcoins umwandeln. Der Impact aufs Klima wäre enorm, da bekannterweise CH4 vielfach klimaschädlicher ist, als CO2.
Im Übrigen möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die in Ihrem Artikel „Schuld und Schulden“ vom 27.5.21 auf der Titelseite der Zeit bemühte Analogie von FCKW / Ozonschicht auf der einen Seite und Bitcoin / Klima auf der anderen Seite hinkt. Es müsste nämlich CO2 / Klima heißen oder man hätte damals entsprechend Kühlschränke ächten müssen.
Pavel
2. Leserbrief
Seit 17 Jahren - und somit mehr als die Hälfte meines Lebens – lese ich wöchentlich Zeit. Dies ist mein erster Leserbrief. Anlass ist, dass Artikel über das sehr spezifische Thema Bitcoin in vielen deutschen Qualitätsmedien, auch in meiner geliebten Zeit, oftmals mehr Meinung als Wissen erkennen lassen. Tatsächlich, das mining von Bitcoin verbraucht eine große Menge an Energie (wenngleich, nebenbei, ein überproportional hoher Anteil der Elektrizität aus erneuerbaren Energien stammt). Der hohe Energieverbrauch (bzw. die komplizierten Rechenprozesse) stellt allerdings die Grundlage der Integrität und Resilienz des Netzwerks dar, weshalb die allermeisten der anderen „Kryptowährungen“ auch nicht die starke technologische und kryptographische Sicherheit des Bitcoins aufweisen. Viel grundlegender stellt sich mir jedoch die Frage, weshalb der Aufschrei in Bezug auf den hohen Energieverbrauch v.a. bei Bitcoin ertönt, nicht jedoch bei anderen (vermeintlichen) technologischen Errungenschaften des Alltags. Wer kommt auf die Idee, tiktok oder youtube aufgrund der „unnötigen zusätzlichen Emissionen“ zu ächten? Oder die Anschaffung von neuen Smartphones nach nur zwei Jahren Haltedauer? Oder individuelle Elektromobilität? Wieviel Strom frisst die globale Weihnachtsbeleuchtung? Wer legt fest, was „unnötig“ ist? Warum ächten wir nicht Gold, das (bei nur der 6-7fachen Marktkapitalisierung des Krypto-Marktes) einen ungleich höheren Energieverbrauch aufweist und dessen Abbau zudem u.a. für die Quecksilber-Verschmutzung von Flüssen im Amazonasbecken, illegale Waldrodungen, Zwangsarbeit und die Vertreibung von Indigenen aus ihren Regionen verantwortlich ist? Stattdessen stecken wir es unseren Geliebten an den Finger und verwahren es in unseren Zentralbanken. Wir steigern dadurch den Wert dieses Gutes und animieren somit indirekt dazu, den Raubbau an unserem Planeten noch weiter zu verstärken. Ich beantworte die Frage nach dem Aufschrei: Weil der Nutzen des Bitcoin für unsere Gesellschaft von der Mehrheit noch nicht erkannt wurde. Bitcoin legt, erstmals seit der Abkehr der USA vom Goldstandard, den Grundstein für ein nicht-inflationäres sowie grenzüberschreitendes und von Staaten unabhängiges Währungssystem - „on chain“ als Wertspeicher und im Rahmen der „second layer“ (z.B. lightning) als alltägliches Bezahlinstrument. Gerade die Unabhängigkeit von Zentralbanken macht ihn so attraktiv, insbesondere für die Bevölkerungen von Staaten, die erhebliche ökonomische, politische und soziale Schwierigkeiten erdulden müssen. So ist es kein Zufall, dass die Adaption von Bitcoin in Staaten, in denen die Regierungen die eigene Währung und die Hoheit über die finanzielle Mündigkeit ihrer Bürger als Macht- und Unterdrückungsinstrument nutzen oder wo sich die Bürger einer enormen Inflation ausgesetzt sehen (etwa Nigeria, Türkei, Venezuela), ungleich höher ist als in westlichen Gesellschaften, die mehrheitlich (und global betrachtet als Minderheit) in einer rechtsstaatliche und finanziellen Blase des Glücks leben und sich ihrer Privilegien oftmals nicht bewusst sind. Entsprechend reagieren Regime, die durch Bitcoin eines ihrer zentralen Werkzeuge zur Kontrolle ihrer Bevölkerung und zur eigenen Bereicherung gefährdet sehen, mit Restriktionen und (zum Scheitern verurteilten) Verboten (jüngst beispielsweise China, Türkei und Nigeria). Bitcoin stellt also mitnichten nur ein „elitäres Spekulationsobjekt“ dar, sondern ist mindestens genauso ein egalitäres empowering-Projekt „von unten“. Abgesehen von einem noch nicht ausreichend erneuerbarem Strom-Mix ist der Konsumismus selbst die Quelle von Umweltzerstörung und Ressourcenverschwendung. Inflationäre Geldsysteme (Dollar, Euro etc.) legen die Grundlage für diese Selbstzerstörung, da sie den sofortigen Konsum belohnen und das Sparen unattraktiv machen. Auch in privilegierten Staaten wie Deutschland geht die Schere zwischen den Ärmsten und den Reichsten zudem auseinander, weil einkommensschwächere Bürger ihre Einkünfte und Ersparnisse deutlich weniger häufig am Finanzmarkt anlegen (können) und entsprechend weniger von den enormen Wertsteigerungen in diesen Märkten profitieren. Da die Reallöhne deutlich geringer steigen als der Wert von z.B. Aktien und Immobilien sind Gering- und Normalverdiener überproportional negativ von der Geldmengenausweitung durch die Zentralbanken betroffen. Noch ein letztes Wort zum Thema Energieverbrauch: Die „miner“ werden langfristig dorthin gehen, wo Energie am günstigsten oder im Übermaß vorhanden ist (aktuelles Beispiel: Island). Mittel- bis langfristig wird grüne Energierzeugung die Nutzung fossiler Energieträger auch aufgrund der Produktionskosten ablösen. Eine CO2-Steuer kann helfen. Auch das mining selbst kann bei der schnelleren Etablierung von erneuerbaren Energien helfen, da es den überschüssigen Strom in Phasen verbraucht, in denen der sonstige Bedarf niedrig ist (z.B. nachts) und regenerative Energien somit noch lukrativer gestaltet. Der Etablierungsprozess wird einige Zeit dauern und disruptiv sein, aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Bitcoin kommen und bleiben wird. Wir befinden uns trotz allem in einer frühen Phase. Die Auswirkungen werden auf gesellschaftlicher und ökonomischer Ebene einschneidend sein und sind noch längst nicht ausreichend betrachtet. In diesem Zusammenhang freue ich mich weiterhin auf eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit diesem Thema in der Zeit und mit Ihnen.
Martin Dupont